[Einzelstück] Küss mich

Ein rosa Gesicht, zwei rote Lippen – auffällig, überzeichnet, fast comicartig. Die runde Nase, die geschwungene Linienführung, die verspielten Farben – alles an diesem Fragment wirkt verspielt und leicht. Und doch bleibt ein Eindruck hängen, der tiefer reicht: Hier möchte jemand sagen, was lange ungesagt blieb. 

Die roten Lippen sind nicht offen, aber auch nicht geschlossen. Sie wirken wie der Beginn eines Satzes – oder wie das Ende eines langen Schweigens. Vielleicht ist es ein Kuss. Vielleicht ein Aufatmen. Vielleicht auch ein Zeichen von Zärtlichkeit inmitten politischer Kälte. 

Im Kontext des Wendebilds steht dieses Fragment für das Private im Politischen. Für Nähe, die nicht verordnet werden kann. Für das Recht auf Gefühl. Auf Liebe. Auf Ausdruck. In einem Staat, der vieles kontrollierte – aber nicht das, was Menschen füreinander empfanden. 

„Küss mich“ ist ein heiteres, zugleich tiefes Bild. Es flirtet mit dem Betrachter – und stellt dennoch Fragen: Wer durfte wen küssen? Wer durfte sagen, was er fühlt? Und was passiert, wenn eine Revolution nicht nur laut, sondern auch zärtlich ist?